In Zeiten des abnehmenden Lichts von Eugen Ruge

In Zeiten des abnehmenden Lichts von Eugen Ruge

Dieter Dausien
Dieter Dausien
, 31.08.2014

Wieso nicht mal ein Buch vorstellen, dass gar nicht neu ist, aber trotzdem gut, immer noch und immer wieder? Ich habe es gerade im Urlaub wieder gelesen bzw. in einer hervorragenden Lesefassung mit Ulrich Noethen gehört. Und war von diesem Buch mindestens so begeistert, wie beim (ersten) Lesen. Es ist in zweierlei Hinsicht grandios: Zum einen verdeutlicht es schlüssig einen historischen Prozess, den Auflösungsprozess der DDR. Zum anderen beschreibt es, psychologisch hervorragend ausformuliert, das Erleben der Mitglieder einer Familie über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten.

Dabei wird deutlich, was das eine mit dem anderen verzahnt ist: Dass nämlich die Idee „DDR“ zerfallen musste, weil ihr der Rückhalt in den Menschen fehlte. Natürlich wäre es naiv zu denken, Geschichte sei inividualpsychologisch determiniert – Geschichte wird gemacht: Interessengetrieben, in der Regel von Profit- und Machtstreben geleitet, im Fall der DDR von der Idee, eine Ideologie ins wirkliche Leben zu übersetzen. Und dennoch: Ohne die real existierenden Menschen hinter sich zu bringen, kann alles nichts werden. Ob politische Prozesse gelingen oder entgleiten, ob Revolutionen zum Ziel führen oder sich selbst ad absurdum führen, hängt unmittelbar von den einzelnen Menschen ab. Ob sie mit Hand anlegen oder nicht, ob sie in die innere Emigration verschwinden oder gar das offizielle Streben sabotieren. Diesen Zusammenhang lebendig und nachvollzielbar zu schildern, ist die große Qualität dieses Buches. Der Autor Eugen Ruge beschreibt die eigene Familie von den Großeltern, die die DDR engagiert, aber auch nicht ohne Brüche mit aufgebaut haben, über seine Elterngeneration der angepassten Zweifler bis zu seinem eigenen Alter Ego, Alexander, der eines Tages kurz vor der Wende die DDR verlässt. Und zwar eines ganz besonderen Tages, nämlich just am 90. Geburtstag seines Stiefgroßvaters Wilhelm dem handfesten DDR-Aufbauer, dem diese Kunde natürlich nicht überbracht werden darf, schon gar nicht an diesem Tage.

In der Erzählung folgt der Autor nicht einem stringenten Verlauf, sondern einer Collagetechnik: Aus den unterschiedlichen Sichtweisen der verschiedenen Familienmitglieder beleuchtet die Erzählstimme schlaglichtartig einzelne Momente der Jahre 1952 bis 2001. Eine der Szenen wird gar sechsmal geschildert: Der besagte Geburtstag von Wilhelm 1989, aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Diese Montagetechnik ist nicht nur psychologisch höchst plausibel und für den Leser ungemein spannend, sondern zeigt anschaulich, wie Menschen ohne bösen Willen vorbeileben – aneinander und an der Idee einer DDR, die, vom dem Einen entworfen, für den Anderen nicht mehr lebbar geworden ist.

29,95 € inkl. MwSt.
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, 10 CDs, 12:07 Std.
Sprache: Deutsch
Argon Verlag GmbH
ISBN: 9783839811214